film & video

LASTING VALUES

Written & directed by Hartmut Jahn
D 1986 - 1996  SD 58 Min.  

LASTING VALUES
aka RADIANT YOUTH  /
BLEIBENDE WERTE

THE TEAM

with
Vera Opitz
Stephan Maaß
Julia Treffenfeldt
Annelie Maaß
Lucca Moltmann 

Written, directed, produced & edited by Hartmut Jahn 

Photograpy: Armin Fausten
Editing: Salar Homam Ghazi
Studio: Kick - online Berlin
TV-Editor:  Jürgen Tomm, Barbara Frankenstein 

Team 1995:
Photography: Armin Fausten
Assistant: Ana Fernandez
Sound: Christa Freisewinkel
Editing: Francesco Sacco

Team 1989:
Photography: Hartmut Jahn Assistant: Merle Kröger, Bettina Ellerkamp
Editing: Wolfgang Andreska 

Team 1987:
Photography:
Hartmut Jahn
Assistant:
Martina Maurer,
Konstantin Kröning 

Team 1986:
Photography:
Hanno Baethe
Assistant: Beate Pfeiffer  

Hartmut Jahn Filmproduktion Berlin

in collaboration with
Sender Freies Berlin (TV)

1996
"BLEIBENDEWERTE"

TV-Ausstrahlung:
SFB 26.4.1996
WDR 25.4.1997

Im offiziellen intl. Wettbewerb:

10.Videofest Berlin / Transmediale 1997
30.5.1997

RETINA Szigetvar Ungarn, 20.8.1998

1989    
"BLEIBENDE WERTE" 02 Lasting Values"        

Im offiziellen intl. Wettbewerb:
Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche
1989 Hong Kong Arts Centre 1989 Euro Aim Screening 1990 San Sebastian 7.Kasseler Dokumentarfilmtage 6.12.1990 Friedberger Filmtage 1990 Retina Festival Szigetvar, Ungarn 1991 Intl. Filmfestival St. Petersburg 1993


1987 "BLEIBENDEWERTE" 01       Engl. Title: "A Nuclear Diary"

Finalist 31.Int. American Film & TV Festival, New York, U.S.A.

Im offiziellen intl. Wettbewerb:
2.Videofest Berlin 1988
4.Manifestation Int. de TV et Video Montbéliard, 1988
4th Int. Ecological Film Events Kranj, Yugoslavia 1989
und während
L'entrepot, Paris 11/1988
Marché de Film d Amiens 1988 :
1ère Biennale  Européenne du Film Documentaire, Lyon 1989 ecovision, Lille
Friedberger Filmtage 1988
Filmtage(3) Salzgitter 1988

EN

A long term documentary with five Berlin kids - youngsters and now adults talking about Chernobyl, nuclear energy, life, ideas and ideals.

Permanent Values - a term which has become asynonym for the long-term effect of radiatian from the nuclear reactor accident in Chernobyl in the former Soviet Union in 1986. A strange anniversary is going to be celebrated! After May 1986, I had some long conversations with children in Berlin - seven to eleven-year-olds - and documented them. There are five portraits in which, over a period of four years (1986 - 1989), they talk about their dreams and experiences after this catastrophe in Chernobyl, which is now a ghost town in Ukraine. The actions of the reappraisal and suppression become a structural moment of everyday life for these children and young people. In the best sense of the word: out of the mouths of babes and sucklings. From 1989 on the film documented the development oft the young people and commented on their future prospects, crises and wars as mediated by the media and their own reflections. The project developed into a long-term documentary. The young people are now adults, between 19 and 22 years old. The catastrophe will have happened ten years ago in the end of April. 

The previous way of working was particularly marked by the unity of location: in the studio, in the monitor, in front of the monitor. In this version, with the shots of 1996, the documentary stresses new aspects of their lives: ideas and ideals, separating from their parents, thinking of becoming parents theirselves... Stephan, Julia, Lucca, Annelie and Vera showing their positive dreams as well as the cracks in their biographies. The most important thing is the authenticity of the five young people in front of the camera.

What cinema can rarely do.
Cinema concerns itself with how to communicate that which words alone cannot adequately describe, to make something viewable or audiblethat hitherto was not viewable or audible. Because the film industry concerns itself with earning money, only that which is easily acceptable can be seen. The word "video" comes from "I see". Video offers the opportunity to create something which cinema is no more able to do.
This can lead to a video work like LASTING VALUES / A Nuclear Diary by Hartmut Jahn. It is a work in progress concerning the consequences of the nuclear super accident of Chernobyl in the minds of people. Children relate what their disconcerted parents have explained to them about the reactor desaster. Children fantasize about the contaminated reindeer in Norway, that one should shoot rockets containing the animals into space, in order to render the radioactivity harmless. They relate these stories with enthusiasm. That differentiates them from the "concerned alternative mafia" which after Chernobyl celebrated a triumph. These people need catastrophies with which they can reconfirm their narrow limited world view. If one thinks the world will end... but when it does not ?
ThorstenAlisch / taz - Die Tageszeitung

DE

Ein Zeitbild aus der Peripherie der Katastrophe von Tschernobyl:
Porträts von Stephan, Julia, Lucca, Annelie und Vera, fünf Jugendlichen in einem Zeitraum von zehn Jahren, 1986 - 1996, begonnen ein paar Wochen nach dem GAU, dem größten anzunehmenden Unfall eines atomaren Kernkraftwerks.

Was aus den ernsten Kindern von 1986 geworden ist, das nimmt den Zuschauer gefangen, nicht zuletzt deswegen, weil die technischen Möglichkeiten von Video ästhetisch sinnvoll eingesetzt werden: drei Lebensalter stehen nebeneinander und kommentieren sich.


Bleibende Werte - ein Begriff, der nach dem Atomreaktorunfall in Tschernobyl am 26 April 1986 zum Synonym für die Langzeitwirkung radioaktiver Strahlung geworden ist. 10 Jahre sind seither (1996) vergangen, und eine Wiederholung dieser Katastrophe ist jederzeit möglich. Hartmut Jahn führte kurz nach dem Super-Gau Gespräche mit Berliner Kindern zwischen sieben und elf Jahren und hielt ihre Reaktionen, ihre Ängste, Alpträume und Zukunftsvisionen mit der Kamera fest. Im besten Sinne des Wortes machte hier Kindermund Wahrheit kund.

Das Filmprojekt entwickelte sich über die Jahre zu einer Langzeitbeobachtung. 1996 sind aus Julia, Annelie, Vera, Lucca und Stefan Jugendliche geworden. Sie sind kaum wiederzuerkennen, nicht nur für den Zuschauer, sondern auch für sich selbst. Schmunzelnd betrachten sie die alten Aufnahmen und sind verwundert darüber, was und wie frei sie noch vor wenigen Jahren über sich erzählen undwelchen Raum die Tschernobyl-Katastrophe damals in ihrem Lebeneinnahm.

Heute sind die Protagonisten 17, 19  und 20 Jahre alt und auf dem Weg in einen neuen Lebensabschnitt: sie sind in der Ausbildung
oderwollen ein Studium beginnen, haben ihre erste eigene Wohnung bezogenund bereits einige zerplatzte Träume hinter sich gelassen.

Hartmut Jahn hat sie wieder aufgesucht, um das vor zehn Jahren begonnene Gespräch fortzuführen - und um sie noch einmal mit den Bildern und Aussagen von damals zu konfrontieren. Haben die jungen Leute ihre Ängste verarbeiten können? Oder waren es gar nur vermittelte Ängste- vermittelt durch Eltern und Medien? Wie reagieren sie heute auf Katastrophenmeldungen? Welche Möglichkeiten individueller Utopie haben sie gefunden?
Bleibende Werte zeichnet die Alltagsentwicklung der damaligen Kinder und heutigen Erwachsenen punktuell nach und versucht damit auch das Lebensgefühl einer jungen Generation zu dokumentieren, die angesichts von Katastrophen und Kriegs-entwicklungen weltweit Lebensperspektiven für sich entwickeln muss.
Barbara Frankenstein / SFB


Gesprächsprotokolle 1986 - 96
Stephan '86: Ich hatte furchtbare Angst, und wenn jetzt nochmal sowas passiert... Jeder sagte was neues, was ich nicht essen durfte.
Annelie '86: Merken tue ichs ja nicht, aber später merke ichs dann, wenn einem die Haare ausfallen.

Vera '86:
Als wir vor dem Fernsehen gesessen und Tagesschau geguckt haben, wir alle zusammen: ich und mein Vater und meine Mutter und da haben sie die Werte angegeben von der Milch und dem Joghurt. Und da hatte ich erstmal Angst... Ich habe immer gedacht: das betrifft jetzt uns, ey: In 1o Jahren liege ich mit Krebs im Krankenhaus oder sonst was.

Julia '86: Ich hatte vorher und jetzt kein richtiges Lieblingsessen. Ich hab nur gern Milch getrunken, die mag ich jetzt auch nicht trinken. Da hab ich auch keine richtige Angst vor, aber ich mag einfach nicht, mir graut davor.

TV-Bericht: Es war am 26. April 1986. Um 0.23 Uhr begann die wohl größte zivile Katastrophe in Europa, der Super-Gau in Tschernobyl. Ein Atom-Reaktor war außer Kontrolle geraten und eine radioaktive Wolke verteilte sich über ganz Europa. Heute liegen in der Bundesrepublik die Belastungen bei Menschen und einigen Nahrungsmitteln durch langlebige radioaktive Stoffe noch immer bis um das fünfzigfache höher als vor dem Unglück. So steht es in einer Studie, die das Münchner Umweltinstitut jetzt veröffentlicht hat. Und für die nächsten fünfzig Jahre wird sich an diesen Werten wenig ändern.

TV-Bericht: Eine radioaktive Wolke zieht von der Ukraine auch bis nach Berlin. Der Niederschlag ist bis 5.000 Becquerel pro Kubikmeter Luft belastet. Die Folge: eine 10fach höhere Strahlenbelastung. Jod und Cäsiumbreiten sich zusammen mit Angst und Unsicherheit aus. Ohnmacht bei Bürgern und Behörden.

Begriffe wie Becquerel oder Rem gehören schnell zum Sprachgebrauch.

Tatjana '86: Meine beste Freundin hat mal geträumt, dass sie mit ihrer Freundin gespielt hat auf der Wiese und die Wiese war radioaktiv verseucht, und ihre Mutter hat gesagt: Ihr müsst jetzt baden. Da hat sie gesagt: das hilft nicht. Und sie hat gelesen, dass faule Banane hilft und dann gabs faule Banane. Faule Banane, ihhh, ich mag keine faule Banane. Aber ist natürlich alles nur geträumt.

Lasse und sein Freund: Die Rentiere in Skandinavien, die werden jetzt alle geschlachtet, aber man weiß nicht wie. In die Erde einbuddeln, in den Weltraum schießen, explodiert die Rakete, kommt alles wieder runter auf uns. Mit Brandsätzen werden die jetzt weggeknallt.

Was würdest du vorschlagen?

Ins All schießen wäre für mich die beste Möglichkeit. Aber aufpassen, dass kein Defekt vorkommt...

Vera '86: Ich hab noch drei Geschwister zu Hause, wir sind nach Mallorca gereist während der Schulzeit, und auch meine Mutter und so, wir haben beim Mittagessen nicht mehr so fröhlich miteinander geredet... Ich wollte so leise wie möglich in meinem Zimmer sein. Also ich fand das blöde.

Und hast du was geträumt?
Vera '86: Geträumt habe ich, dass ich schlafe und dass es Nacht ist und dass dann so ein Ding, so ein Atomkraftwerk in die Luft fliegt und unser Haus steht gleich daneben. Tagsüber habe ich total phantasiert und so Zeug gesprochen, also hab ich total phantasiert.

Vera '96: Ich habe Tagebücher aus der Zeit. Ich weiß, worüber ich nachgedacht habe. Von daher ist es nicht überraschend für mich. Wie ich schon sagte: ich glaube, ich war sehr früh sehr wenig Kind. Das habe ich auch mit 13 mal gesagt, dass ich den Eindruck habe, das ich versucht habe, einen erwachsenen, lockeren Eindruck zu vermitteln, einen wissenden. Und dass ich dann mit 13, 14 Jahren in der Pubertät einen Rückschritt gemacht habe und das einfach konkret abschütteln wollte, dieses Image, und dass ich glaube, dass das genau das Problem meiner Eltern war. Das also einfach dieser Sprung von der großen, die Geschwister immer mehr oder weniger verantwortungsvoll hütenden, erwachsen wirkenden, wissenden Vera - so'n rebellisches Ding wurde, die irgendwie nicht mehr so wollte, wie sie wollten oder wie man von mir erwartet hat zu sein. Ich weiß es bis heute nicht. Ich habe bis heute nicht mit ihnen darüber geredet.

Habt ihr an den Tod gedacht?
Vera '86: Na klar, ich habe in der Schule oft das Gefühl: Warum leb ich überhaupt? Ist doch völlig sinnlos. Einmal ist ja sowieso allesvorbei. Manchmal weine ich auf meinem Zimmer und da kam mein Vater und wollte es aus mir rausquetschen. Ich habe aber nur bestimmte Leute, mit denen ich darüber rede... Die einzige eigentlich mit der ich darüber geredet habe, war meine Freundin. Wir hatten so ein Geheimversteck und da haben wir dann immer über unsere Probleme geredet...
Dirk: Mein Vater hat mich auch gefragt, weil ich oft in meinem Zimmer war. Aber ich habs nicht gesagt... Mit meinem Vater kann man nicht reden. Mit dem kann man nicht reden.
Vera '89: Wenn ich mich nach meinen Eltern richte, dann stapfe ich genau in die Fußstapfen meiner Eltern. Ich will nicht so werden wie meine Eltern.
Vera '96: Ja, man will sich mit den Eltern nicht mehr identifizieren irgendwann. Das ist ja ganz normal. In der Pubertät hast du mit denen nichts mehr am Hut irgendwie. Also es war für die glaube ich auch nicht einfach, als ich gegangen bin, natürlich nicht. Mein kleinster Bruder, der hat wirklich Tränen vergossen und geschrien. Ich soll wieder zurück kommen und so... Das war schon herzzerreißend, kann man nicht anders sagen. Es war auch für mich herz-zerreißend. Auch im nachhinein noch. Das ist ja ein Jahr nach diesen Aufnahmen gewesen, ein knappes Jahr danach. Da war ich ja im Grunde nicht viel älter!
Ich bin rausgeflogen, ich bin wirklich gegangen, so wie mein Stiefvater gesagt hat: ich solle gehen! Und dann haben sie mich auf die Fahndungsliste setzen lassen bei der Polizei, obwohl ich nur bei der Freundin war. Und mein Vater hat mich da auch gefunden, weil der in dieser Zeit sensibler war, und er hat mit mir geredet und gemeint, dann soll ich doch zu ihm kommen - und das hab ich auch gemacht, zu ihm und seiner damaligen Freundin. Enttäuscht... naja enttäuscht nicht: verletzt. Ich habe meine Familie sehr vermisst.

Vera '96: Ich hatte mal große Pläne: ich wollte mal Bundeskanzlerin werden, die erste. Das muss wohl jetzt eine andere für mich übernehmen. Die will ich nicht mehr werden. Das ist mir schon wieder zu anstrengend. Da stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis nicht ganz mit meinen Vorstellungen überein.
Vera '96: Ich habe immer in meinem ganzen Leben viel mit Jungs gespielt. Ich habe mit Männern nicht nur sexuelle Beziehungen. Also, es ist kein Kampf, keineswegs. Ich bin eigentlich ein recht kampfloser Mensch in Beziehungen, glaube ich, ich bin eher harmonieliebend. Ich hatte mit denen keinen Streit. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie teilweise doch auch der schwächere Part waren.
Wie habt ihr euch denn getrennt?
Vera '96: Naja, unterschiedlich, es war immer so... ich hab immer Schluss gemacht. Es hat noch nie jemand in meinem Leben mit mir Schluss gemacht. Tut es doch mal, damit ich auch mal weiß, wie weh es tut...

Bleibende Werte 02
Ein junges  Mädchen liest als Nachrichtensprecherin der Tagesschau  die offizielle Katastrophenmeldung über den Reaktorunfall von Tschernobyl. Es ist eines von sieben Berliner Kindern, die  über den Zeitraum 1986-89 von  ihren  Erfahrungen  mit der Reaktorkatastrophe, ihren Träumen, Wünschen und Lebensperspektiven erzählen.
Auf  dem Wochenmarkt preist ein Verkäufer Blumen  an,  die  nachts leuchten.Ein  Reporter   interviewt  ein  erregtes  Elternpaar am Flug-schalter, das im Begriff ist, das Land zu verlassen. Drei  Kühebohren genußvoll ihre rosafarbene Zunge in die großen Nasenlöcher;rotwangige pralle Äpfel am Ast eines Baumes scheinen  den Betrachterphysisch  zu berühren; die  Ähren eines wogenden Kornfelds stoßenden Betrachter an, scheinen ihn bedecken zu wollen.
Dies sind Bilder aus dem Dokumentarfilm "Bleibende Werte" vonHartmut Jahn, der mit  dieser Langzeitdokumentation eine der wesentlichen Möglichkeiten des Mediums auslotet.  Sieben Berliner Kinder - und  im Laufe der Zeit Jugendliche - stehen im Mittelpunkt des  Films: Die Ereignisse und Beobachtungen aus der Randzone einer Katastrophe sind Thema und zugleich Ausgangspunkt für diese rechtungewöhnliche Langzeitstudie. Auf die Ängste und Alpträume folgt die Entwicklung jugendlicher Lebensperspektiven:  von der grundlegenden Kritik an der Erwachsenenwelt bis zum Wunsch, die erste Bundeskanzlerin zu werden. Verblüffend dabei ist der Effekt der Montage von Aufnahmen aus den drei  Jahren, die die rasante Entwicklung  der Kinder zeigen: die Veränderung ihres Gesichts,  der Stimme, dessen,  was sie zu den Fragen erzählen mögen und wie sie es sagen. Annelie und Stefan, Marie-Luise und Julia sind nach drei Jahren kaum wiederzuerkennen, nicht  nur  für den Zuschauer sondern auch  für sich selbst. Sie  betrachten  sich schmunzelnd  oder verwundert, erstaunt darüber,  wie sie noch vor 2 und 3 Jahren aussahen und vor allem, was und wie frei sie damals über Tschernobyl, Familie, ihre Ängste, Träume und Wünsche erzählten. Dieses  Phänomen des Erstaunens wird dramaturgisch  aufgegriffen,  indem den Kindern 1989die Chance gegeben wird,  sich selbst zu kommentieren. Hier kommen die Vorteile des Mediums Video - die Gleichzeitigkeit von Aufnahme und Ergebnis - sinnvoll zum Tragen: Bei laufender Kamera werden sie mit den zurückliegenden Aufzeichnungen von sich selbst konfrontiert. Nahe zu  frontale  Halbnah- oder  Großaufnahmen zeigen, mit  welcher Faszination aber  auch  Befremden die Kinder sich auf  dem Bildschirm betrachten  und  sich selbst zuhören,  während der Zuschauer  eben  jene Passagen  aus 1986 oder 87 auf einem Monitor im Hintergrund mit verfolgen kann.  Dabei  scheint die Kamera und die Studiosituation für die  Kinder völlig vergessen. In immer  wieder  neuen  Varianten  werden  die  z.t. verblüffend kritischen Reflexionen der Kinder über sich selbst  präsentiert.  
Sie erfahren  dabei  in der visuellen Umsetzung durch  den  Autor  eine weitere Kommentierung. Als z.B. die 9jährige Marie-Luise darauf beharrt, nicht  erwachsen werden zu wollen,  am liebsten ewig so bleiben möchte, wie sie ist, erscheint sie im gleichen Moment in Vervielfältigung  auf Monitorbildern im Hintergrund, dem elektronischen Rückkopplungseffekt.
Auch das sichtliche Befremden der heute 13jährigen  Julia über sich - sie meint: "das Mädchen, das da spricht, könnte jemand anders sein, jemand,  der jetzt vielleicht auch noch leben könnte, neben mir oder woanders" -, findet eine visuelle Umsetzung: die heutige Julia lehnt im Profil  an der Mattscheibe des Monitors,  der die Aufnahme vor  wenigen Sekunden  zuvor  zeigt,  als sie ein Standbild von sich selbst aus  dem Jahr 1986 betrachtet.

Das künstliche  Arrangement  der  Kinder  an, auf, vor und  hinter den Bildschirmgeräten, die Reduktion auf das Gesicht, das erzählt, sieht und kommentiert,  widerspricht  in krasser Form dem traditonellen Ansatz sozialdokumentarischer TV-Studien.  Der Einblick ins Kinderzimmer und in die familiäre Situation wird bewußt verwehrt. Das Fernsehgerät ist  der einzige  Raum,  der den Kindern gegeben ist.  So werden die  Porträts zugleich zu einer Auseinandersetzung mit der Erzeugung und Montage von elektronischen Bildern. Sie machen  in  besonders  anschaulicher  Weise  das  Verhältnis  von Intimität  und Öffentlichkeit,  intimer und öffentlicher Nutzung des TV deutlich. Die Aufforderung zur Kommentierung des Gesehenen und Gehörten verweist auf  eine  weitere Ebene des Films:  die  audio-visuelle Reflexion von Information und Rezeption deutscher TV-Nachrichten, hier am Beispiel der Präsentation offizieller  Informationspolitik  über Einschätzung  und Folgen der Reaktorkatastrophe.
Neben einem Rückblick auf die Chronologie der Ereignisse, der an Hand von Tagesschau-Mitschnitten u.a. manche vorschnelle u
leichtfertige Politikeräußerung an den Tag bringt,  neben  erschütternden Berichten von erregten Menschen, die die Verseuchungsmeldungen Tage zu spät erreichten und mit ihren Kindern das Land verlassen,  geht es dem  Autor hier  vor  allem  um die Wahrnehmung  von  Nachrichten, ihre  Verständlichkeit und Glaubwürdigkeit - im Fall Tschernobyl mußte das Medium bei seiner  Jagd  auf informative  Bilder versagen, nicht mal ein  lausiges Bild eines Kraftwerks war in den ersten Tagen zu sehen.
Befragt nach dem Inhalt des Gehörten, fehlen Annelie nach einem Satz die Worte,  der  Text  war zu fremd. Julia, per bluebox den Nach-richtensprecher Köpcke ersetzend, bemüht  sich redlich um Betonung  und Aussprache  eines Zitats der Katastrophenmeldungen.    
Marie-Luise glaubt den Nachrichten nur bedingt: der Wetterbericht sei häufig falsch, aber ansonsten würde immer von "gelben Zetteln" abgelesen, da dürften ja keine Geschichten erfunden werden...
Beate Pfeiffer

FESTIVALS:

in intl. competition:
 
10. Videofest Berlin / Transmediale 1997  May 30th 1997
RETINA Festival Szigetvar, Ungarn, August 20th1998 

TV Broadcasting:
SFB  April 26th1996
WDR  April 25th1997

1989    
LASTING VALUES 02 / BLEIBENDE WERTE 02       

in intl. Competition:

Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmwoche 1989
HongKong Arts Centre 1989
Euro Aim Screening 1990, San Sebastian
7.Kasseler Dokumentarfilmtage, December 6th1990
Friedberger Filmtage 1990
RETINA Festival Szigetvar, Ungarn 1991
Intl. Filmfestival St. Petersburg 1993  

1987  
A NUCLEAR DIARY / BLEIBENDE WERTE 01 

Finalist
31. Int. American Film & TV Festival, New York, U.S.A. 

in intl. competition:
2. Videofest Berlin, Februar 1988
4. Manifestation Int. de TV et Vidéo Montbéliard,1988
4th Int. Ecological Film Events Kranj, Yugoslavia1989
and
L'entrepot, Paris 11/1988
Marché de Film d'Amiens 1988
Friedberger Filmtage 1988
Filmtage Salzgitter 1988
1ère Biennale Européenne du Film Documentaire, Lyon 1989
écovision 1989, Lille

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